Rezension "Die Geburt meines ersten Kindes" in "Buchbesprechungen Psychotherapie"

Rezension veröffentlicht bei: http://www.buchbesprechungen-psychotherapie.de/behrmann2013.html im September 2013
Autor: Bernd Kluck, Psychologische und Psychotherapeutische Fortbildungsangebote im Internet
 
"Irene Behrmann/Ulrike Bös: Die Geburt meines ersten Kindes. Geburtserfahrungen, Geburtsakten und Erläuterungen schwerer Geburten in der Klinik. 261 S., fidibus Verlag 2013

Ein Buch, in dem Erfahrungsberichte über hauptsächlich problematische Geburten in Kliniken versammelt sind. Veröffentlicht wurde der Text in einem kleinen Verlag, der erst 2011 gegründet wurde und wohl zu den alternativen Initiativen gerechnet werden darf. Vielleicht auch dies schon ein Hinweis darauf, dass in unserer Gesellschaft das Thema der sanften, ich möchte fast sagen: lebensfreundlichen Geburt, keine großen Auflagen erwarten lässt.

Der Text verwundert umso mehr, als doch schon vor vielen Jahren das Thema sanfte Geburt und Hausgeburt in der alternativen ökologischen Szene intensiv diskutiert wurde. Wenn es sich hier nicht nur um eine Negativauswahl von Erfahrungsberichten handelt, überkommt einen das kalte Grausen. Viel hat sich demnach nicht geändert in der technisierten Geburtsmedizin. Unter dem Vorwand (?), Mutter und Kind ja nicht zu gefährden, werden umfangreiche diagnostische, oft invasive Voruntersuchungen
durchgeführt, die möglicherweise erst Gefahren erzeugen, die dann behandelt werden müssen. Es gibt anscheinend immer noch zu wenige Kliniken, die es sich leisten, einer Erstgebärenden die 12 bis 14 Stunden Zeit zu geben, die eine solche - komplikationslose - Geburt schon mal dauern kann. Zeit ist Geld.

Gerade in der jüngsten Zeit entstand für den Laien der Eindruck, dass die männlich dominierte Medizin nun endlich auch die Geburt fest in ihre Hände bekommen will. Der alte Geburtsneid (Karen Horney) treibt immer neue Blüten. Zuletzt sollten die freien Hebammen vom "Markt" - denn darum scheint es auch zu gehen, in treuem Schulterschluss mit der Pharmaindustrie - fern gehalten werden, indem man
ihnen kaum bezahlbare Versicherungsprämien verordnete. So äußerte ein Geburtsmediziner z.B. dazu, dass sie ja in einer Klinik arbeiten könnten, da seien sie mitversichert. Außerdem sei es ein Kostenfaktor, medizinische Geburtshilfe vorzuhalten, da viele Gebärende dann doch mit Komplikationen in die Klinik kommen, die eigentlich zuhause gebären wollten.

Eine Geburt ohne Gewalt scheint nicht leicht zu haben zu sein, trotz Leboyer ("Geburt ohne Gewalt"). Der schreiende neugeborene Mensch ist immer noch Vorbild, obwohl ein mitfühlender Mensch eigentlich nicht den Eindruck haben kann, dass es sich hier um einen Begeisterungsschrei handelt, endlich in diese Welt zu kommen. Aus dem Dunkel der Gebärmutter in den grell erleuchteten Kreißsaal. Der ist auch noch relativ kalt. Da alles routiniert und schnell gehen soll, wird häufig die Nabelschnur zu früh durchtrennt, so dass der neugeborene Mensch sehr schnell über die Lungen atmen muss. Bereits
in den 20-iger Jahren des vorigen Jahrhunderts wies eine Hebamme auf uneinfühlsame Praktiken in der Geburtshilfe hin (Dorothy Garley [London]: Über den Schock des Geborenwerdens, Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse 1924, S. 134ff).
 
Nun gibt es allerdings eine unheilsame Entwicklung nicht nur in der Medizin, die immer mehr zum Dienstleister geworden ist, sondern auch bei den "Kundinnen". So führt eine geringer werdende Schmerztoleranz, im Verbund mit mangelnder emotionaler Begleitung bei der Geburt geradezu zur Forderung nach Schmerzbetäubung, immer häufiger durch Periduralanästhesie (PDA). Der aktive, kooperative Geburtsvorgang, an dem Mutter und Kind gleichermaßen beteiligt sind, wird dadurch erschwert oder unmöglich. Hier bedarf es dann weiterer invasiver "Geburtshilfe". Trotz ökologischer Bewegung ziehen sich anscheinend die Männer immer mehr zurück, so dass viele Frauen nicht nur
allein gebären, sondern dann auch alleinerziehend sind. Die oben erwähnte Angst vor den Geburtsschmerzen oder auch die fehlende Geduld auf beiden Seiten, lässt die Zahl der Kaiserschnitte erheblich ansteigen.

Wie unzureichend auf das Kind geachtet wird, zeigt sich etwa daran, wie wenig eine vorteilhafte Geburtshaltung Beachtung findet. Nach neuester Studie (GKV-Pilotstudie 20111) an ca. 60.000 Klinikgeburten in Hessen bei risikolosen Gebärenden müssen 86,1 Prozent dieser Frauen immer noch liegend gebären. Das ist physiologisch nachgewiesenermaßen gefährlich, weil so die Geburt verzögert wird und das Kind in der Waagerechten viel schwerer seinen Weg finden kann. Erfahrungswissen kann verloren gehen - zum Schaden der eigenen Nachkommen, die nun vermehrt Stress, Panik, Kontrollverlust, Medikamenten und Eingriffen von außen ausgesetzt sind (S. 21).
In der Studie wird nachgewiesen, dass es in Kliniken häufiger zu Dammverletzungen kommt als in von Hebammen geleiteten Einrichtungen. In Hebammen Einrichtungen gebären nur 23,7% der Frauen liegend. Vertikale Gebärpositionen finden sich in Kliniken zu 4,7%, in den anderen Einrichtungen zu 36% usw. (S.183).

Inzwischen haben wir Kenntnis vom impliziten Wissen, d.h. dem Bewusstsein so nicht einfach zugänglichem Wissen z.B. von der eigenen Geburtserfahrung. Werdende Väter und Mütter können so in erheblichen Stress geraten, der mit einer traumatherapeutischen Unterstützung erheblich verringert werden kann, wodurch die Geburt komplikationsloser verlaufen könnte. Wie viele Ängste und wie viel Abwehr hier eine Rolle spielen, erfuhr der Rezensent etwa im Gespräch mit an sich sehr reflektierten
Frauen, die die Geburtsmedizin in einem für mich nicht nachvollziehbaren Maße verteidigten.

Ebenso spielen ungeklärte eigene Geburtserfahrungen beim Klinikpersonal eine Rolle. Man verlässt sich möglicherweise lieber auf Technik und erhofft sich eine Sicherheit gegenüber eigenem Kontrollverlust.
Die mittels Technik gewonnenen Daten werden für bedeutsamer genommen als die
zwischenmenschlichen Vorgänge. Eine Gebärende, die unter erheblichem sozialen und psychischem Stress steht, wird eher Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt haben, als eine gut begleitete und emotional stabile. Wahrscheinlich wird der Beitrag der Geburtsmedizin zu einer geringeren Mortalität weit überschätzt. Bedeutsamer sind Hygiene, Familienplanung, Ernährung und soziale Einbettung von Mutter und Kind.
Das Buch gibt einen Einblick in die problematische Geburtskultur in unserem Land. Den
Erfahrungsberichten ist eine Empfehlung voran gestellt, für wen die Lektüre geeignet sein kann oder für wen es sich nicht empfiehlt, den Bericht zu lesen. Gefolgt wird der Bericht vom Geburtsprotokoll und schließlich einem medizinischen und psychotherapeutischen Kommentar der beiden Herausgeberinnen.

Es folgen Hintergrundinformationen zur klinischen und außerklinischen Geburt, Hinweise zu Hilfen nach der Geburt und schließlich ein Anhang u.a. mit Stellungnahmen zum Mutter- und Kinderschutz, einem Stichwort- und Abkürzungsverzeichnis sowie Informationen zu Medikamenten, die bei den geschilderten Geburten zur Anwendung kamen. Das Buch ist lesenswert für alle Menschen, in deren Nähe Schwangerschaft und Geburt erfahren werden, besonders für Menschen, die sich mit Familienplanung
beschäftigen.

1 Studie de s GKV-Spitzenverbandes, unterstützt vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund Krankenkassen e.V., zusammen mit den Hebammenverbänden DHV und BfHD sowie dem Netzwerk der Geburtshäuser e.V. und der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V."
 

 

 

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